Unterwegs mit Almut Zilcher und Alfred Döblin am Alten Schlachthof Areal

Unterwegs mit Almut Zilcher und Alfred Döblin am Alten Schlachthof Almut Zilcher liest die „Schlachthofpassage“ aus Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“. Starten Sie am alten Schlachthof und spazieren Sie entlang des Hausburgparks, um das Gelände des ehemaligen Schlachthofs erkunden. Die Adresse lautet: Alter Schlachthof Agnes-Wabnitz-Straße 9 10249 Berlin Was hast Du in den letzten Monaten gemacht? In den letzten Monaten beschäftigten mich vor allem zwei Herzensprojekte, die ich schon lange mit mir trage. Vor allem möchte ich ein Buch über die Theaterarbeit von Dimiter Gotscheff herausgeben, das seine wichtigsten Arbeiten in Form von Bildern und Originalzitaten dokumentieren soll. Gerade jetzt erscheint mir das wichtig, wo man so viel Zeit hat, nachzudenken über das Theater und Rückschau hält. Mir wurde schmerzhaft bewusst wie sehr ich seine Arbeit und leidenschaftliche, sinnliche aber auch inhaltlich existentielle und politische Sichtweise in digitalen Theaterzeiten vermisse und ich denke, das geht nicht nur mir so. Also arbeite ich gegen das Vergessen an und hoffe, dass ich dieses Vorhaben bis zu Gotscheffs 10. Todestag 2023 realisieren kann. Außerdem erarbeite ich ein Theaterprojekt: "Der Krieg hat kein weibliches Gesicht" heißt das Buch, der von mir so geschätzten belorussischen Nobelpreisträgerin Swetlana Alexejewitsch und es ist ein lang gehegter Wunsch von mir, die Stimmen der Rotarmistinnen (über eine Million Frauen kämpften im 2.Weltkrieg in der Sowjetarmee) auf der Bühne hör- und erfahrbar zu machen. "Es gab schon Tausende Kriege" schreibt Alexejewitsch, "aber das haben Männer über Männer geschrieben ... Alles, was wir über den Krieg wissen, wissen wir von Männerstimmen.“ Hier kommen die Frauen zu Wort, ihre Perspektive auf den Krieg. "Das weibliche Gedächtnis hält den Krieg mit der größten Lichtstärke fest, mit den intensivsten Gefühlen, dem intensivsten Schmerz, ich würde sogar sagen, dass der weibliche Krieg schlimmer ist als der männliche. Wie unerträglich es ist zu töten, denn eine Frau gibt Leben. Ich höre, wie sie schweigen. Beides, die Worte und das Schweigen ist für mich der Text." Mit diesem “Chor" von Stimmen möchte ich auch daran erinnern, dass die Rote Armee (und vor allem auch die vergessenen Frauen darin!!) den höchsten Blutzoll im Kampf gegen den Faschismus geleistet haben, was oft durch den westlichen Blick auf die Geschichte vergessen, ja, sogar zuweilen verleugnet wird! Was gefällt Dir an dem von dir gelesen Text? In den 80er Jahren begegnete ich dem Roman „Berlin Alexanderplatz" von Alfred Döblin zum ersten Mal. Als ich im Fernsehen die 14teilige Serie von Rainer Werner Fassbinder sah... war dies unvergesslich für mich. Seine ruhige, weiche, eindringliche erzählerische Stimme darin... Ich erinnere mich an die heftigen Reaktionen auf seine Verfilmung: “zu dunkel!“ und „moralisch verwerflich“ hieß es damals. Vor allem in der deutschen Boulevardpresse. „Ein Bild-Moloch tödlicher Gefühle…Millionen Pleite...Brutal/Schmuddelig". So etwas gab es bis dahin nicht im allabendlichen deutschen TV... und gibt es auch heute nicht, in der Form einer Serie zur besten Sendezeit... Damals konnte ich nicht ahnen, dass ich selbst einmal in Berlin landen und mich dieses Buch auf meinen Spaziergängen durch die Stadt immer wieder begleiten würde. Schließlich habe ich bei der Realisierung auf der Bühne 2016 in einer sehr starken Inszenierung von Sebastian Hartmann als "Tod" des Franz Biberkopf mitgewirkt. Jedes Mal haben mich die "Schlachthausszenen" darin, in denen der Schauspieler Benjamin Lillie als Kreatur-Tier/Mensch seinen Schmerz, seine Todesangst herausschrie tief berührt. Ich liebe dieses Buch sehr, diese Passionsgeschichte des Franz Biberkopf. Mich faszinieren Döblins Sprachgewalt, seine Poesie und die expressionistisch, collagenhafte Schönheit des Romans, seine sentimental unsentimentale Berliner Schnoddrigkeit, seine biblisch apokalyptisch düstere Reise durch die menschliche Seele, aber auch seine Reise durch das alltägliche Berlin damals. Eine Reise durch die politischen Kämpfe und des aufkommenden Nationalsozialismus Ende der 20er Jahre. Eine großartige zeitgeschichtliche Montage! Wenn es nach der Schlachtung und Tod des starken, großen, weißen Stieres im Text heißt: „Finsternis, jetzt beginnt ein neues Weltbild", erstaunt mich dieser fast schon unheimlich anmutende weitsichtige, hellseherisch-prophetische Blick von Döblin auf das kommende Unheil. Ich denke dann unwillkürlich an die Schlachtfelder des 2.Weltkrieges, die ungeheuren Verbrechen der deutschen Wehrmacht, das unvorstellbare Blutzoll der Opfer, an das noch unvorstellbarere maschinelle Töten in den Konzentrationslagern.... Wie konnte Alfred Döblin, der das Buch 1929 herausbrachte, all diese Gräuel schon voraussehen und ahnen? Wo und wann würdest Du in Berlin bei einem Spaziergang diesen Text gern hören? Der Text kommt mir sehr oft in den Sinn, da ich in der Nähe dieses alten Schlachthofes wohne. Immer wenn ich zur S-Bahnstation Landsberger Allee gehe und zwangsläufig auf dem Weg dahin die alten, denkmalgeschützten Hallen passiere. Seit Jahren beobachte ich diese riesige Baustelle in ihrem Wandel. Mehr als 100 Jahre von 1881 bis 1991, wurden dort Tiere geschlachtet. Schwer vorstellbar, dass es lange Jahre nach dem Fall der Mauer unbebautes Brachland war. Jetzt wird das riesengroße Areal immer mehr bebaut... Miet- und Eigentumswohnungen und Bürohäuser entstehen. Hinter den historischen Hallen wird ein fünfstöckiger Neubau hochgezogen. Eine Shopping Mall konnte durch den Einspruch einer Bürgerinitiative Gott sei Dank verhindert werden, aber ob die Errichtung von riesigen Büroflächen eines Internetproviders heutzutage noch Sinn machen werden? Auch hat man vor, in den denkmalgeschützten Hallen eine Menge Gastronomie und Fitnessstudios, „Eventflächen", anzusiedeln. Ich vermisse die Planung von sozialen Einrichtungen, wie z.B. frei zur Verfügung gestellten Ateliers für Künstler und Handwerker, sozialen Begegnungsstätten. Wahrscheinlich sehr naiv in „Zeiten des Neoliberalismus". Aber wer weiß, vielleicht kommt es zu einem „Umdenken" nach dieser, unserer „pandemischen Zeit". Machen Sie sich selbst ein Bild und schlendern Sie über die Hausburgstraße, durch den gleichnamigen Park und machen sie die Runde durch das zersiedelte Gebiet auf dem Sie hie und da auf vereinzelte Reste der zu dem Schlacht- und Viehhof Areal gehörenden historischen Bauten stoßen werden bis zu den noch historisch erhaltenen Viehhallen. Und auf dem Weg dahin oder wenn Sie dann davorstehen... da lauschen Sie dem Text.

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Mit unseren Podcast-Ausgaben informieren wir Sie immer wieder über aktuelle Inszenierungen am Deutschen Theater Berlin. Hier hören Sie Gespräche mit Schauspielern, Regisseuren und Dramaturgen. Außerdem können Sie nachhören, welche Aufführungen bei 'Früh-Stücke' vorgestellt wurden. Und wir bieten Ihnen hier Ausschnitte aus den Gesprächen, die Gastgeber Gregor Gysi bei seiner sonntäglichen Talk-Show im Deutschen Theater geführt hat.