„Kommt. Nehmt doch nur einen Koffer und kommt, um Gottes Willen!“ - #10ESD - Lesung Edith Horowitz

Sie hat ein gutes Leben in Berlin. Edith Horowitz lebt zusammen mit ihren Eltern und ihrer Schwester in einer schönen Berliner Wohnung mit Dachterrasse. Ihr Verlobter lebt in der Nähe in einem möblierten Zimmer und kommt in seinen Mittagspausen immer zum Essen. Sie hängen alle sehr aneinander. Ediths zukünftiger Schwager ist Schiffsbauingenieur und bereist die Welt. Als er 1935 oder 1936 in Deutschland ist, wann das genau war, weiß Edith Horowitz heute nicht mehr, legt er seinen Geschwistern und seiner Mutter nahe, so schnell wie möglich nach Argentinien oder in die USA auszuwandern. Dann reist er wieder ab. Kurz darauf schickt er llamadas, auch an Edith und seinen Bruder. Doch Edith kann sich nicht entscheiden zu gehen. „Es war so schwer für uns. Wir konnten uns nicht von meiner Familie trennen.“ Also schieben sie die Ausreise vor sich her. Doch der Schwager, der die Situation von außen besser beurteilen kann, wie sie heute weiß, drängt das Paar, „Kommt. Nehmt doch nur einen Koffer und kommt, um Gottes Willen!“ schreibt er in einem Brief, „Ihr könnt nicht warten.“

Om Podcasten

"Wir können doch nichts dafür. Deutsch ist und bleibt unsere Muttersprache." In San Miguel, einem Ort nördlich von Buenos Aires, steht das Hogar Adolfo Hirsch, das Altenheim der Deutsch sprechenden Juden Argentiniens. Ungefähr 170 alte Menschen leben hier, inmitten eines großzügigen blühenden Parkgeländes. Alle sind Einwanderer der ersten Generation. Sie sind in Deutschland, Österreich oder Ungarn geboren und ihre Lebensgeschichten sind bis heute eng mit Deutschland verknüpft, mit dem Deutschland der Nazizeit. Wir haben 49 von ihnen besucht, um mehr über ihr Leben zu erfahren. Einige haben wir in ihren Zimmern aufgesucht, andere im Park getroffen oder in der Stadt. Hier erzählen 49 Männer und Frauen von ihrer Emigrationsgeschichte, ihrem Verhältnis zu Argentinien und ob sie je darüber nachgedacht haben, wieder in Deutschland zu leben. Die Initiatorin des Projektes, Corinna Below (Journalistin) spricht in diesem Podcast mit ihrem Freund und Kollegen Carsten Janz über die Schicksale der Vertriebenen. Dazu sind Gäste geladen, Experten aber auch Verwandte oder Zeitzeugen. Und auch aktuelle politische Entwicklungen werden hier besprochen. Gegen das Vergessen.