„Sie haben mich durch den Ort geführt und diese hässlichen Lieder gesungen" - #20ESD - Lesung Siegfried Bustin

Siegfried Bustin kommt als Nachzögling im Jahre 1916 in Tutzing bei München zur Welt. Seine Familie sei die einzige jüdische Familie im Ort gewesen. „Als die Nazis an die Macht kamen, wurden wir trotzdem noch gut behandelt“, erzählt er. Er habe sogar seinen Schulabschluss machen dürfen. Bescheiden, als ob es ein Geschenk war, dass ihm eigentlich nicht zustand. Er erzählt von einer Radreise, die er mit zwei Kameraden nach Berchtesgaden gemacht hat. In einer Herberge pöbelte eine Gruppe Hitlerjugend aus Nürnberg „und die haben mich gefragt, ob ich Jude bin und ich habe gesagt „Ja“.“ Sie hätten ihm nichts Übles getan, erinnert sich der alte Mann heute. Nein, es ist noch gut gegangen. „Sie haben mich durch den Ort geführt und diese hässlichen Lieder gesungen: „Wenn das Judenblut vom Messer spritzt ...“ Er meint er habe Glück gehabt. Sie hätten ihn ja auch schlagen können. Seinen Freund haben sie sich statt dessen vorgenommen, sozusagen als Judenfreund.

Om Podcasten

"Wir können doch nichts dafür. Deutsch ist und bleibt unsere Muttersprache." In San Miguel, einem Ort nördlich von Buenos Aires, steht das Hogar Adolfo Hirsch, das Altenheim der Deutsch sprechenden Juden Argentiniens. Ungefähr 170 alte Menschen leben hier, inmitten eines großzügigen blühenden Parkgeländes. Alle sind Einwanderer der ersten Generation. Sie sind in Deutschland, Österreich oder Ungarn geboren und ihre Lebensgeschichten sind bis heute eng mit Deutschland verknüpft, mit dem Deutschland der Nazizeit. Wir haben 49 von ihnen besucht, um mehr über ihr Leben zu erfahren. Einige haben wir in ihren Zimmern aufgesucht, andere im Park getroffen oder in der Stadt. Hier erzählen 49 Männer und Frauen von ihrer Emigrationsgeschichte, ihrem Verhältnis zu Argentinien und ob sie je darüber nachgedacht haben, wieder in Deutschland zu leben. Die Initiatorin des Projektes, Corinna Below (Journalistin) spricht in diesem Podcast mit ihrem Freund und Kollegen Carsten Janz über die Schicksale der Vertriebenen. Dazu sind Gäste geladen, Experten aber auch Verwandte oder Zeitzeugen. Und auch aktuelle politische Entwicklungen werden hier besprochen. Gegen das Vergessen.