Glikl bas Judah Leib oder Glückel von Hameln (1647–1724)

Glikl bas Judah Leib oder Glückel von Hameln führte das Leben einer wohlhabenden jüdischen Kauffrau im Altona des 17. Jahrhunderts. Sie war zweimal verheiratet, gebar zwölf Kinder und hinterließ ihnen autobiografische Aufzeichnungen, in denen sie sich im inzwischen ausgestorbenen Westjiddisch zu Familie und Ehe, Religion und Messiasglauben sowie die Hochs und Tiefs der jüdischen Gemeinschaft in Europa äußerte. *** Aus vielen Sorgen und Nöten und Herzeleid Im Jahre 1691 beginne ich dieses zu schreiben, aus vielen Sorgen und Nöten und Herzeleid … Ich habe dieses angefangen zu schreiben mit Gottes Hilfe nach dem Tode eures frommen Vaters, und es hat mir wohlgetan, wenn mir die melancholischen Gedanken gekommen sind, aus schweren Sorgen, als wir waren wie eine Herde ohne Hirt und wir unseren getreuen Hirten verloren haben. Ich habe manche Nacht schlaflos zugebracht und ich habe besorgt, dass ich nicht, Gott bewahre, in melancholische Gedanken sollte kommen. Darum bin ich oft nachts aufgestanden und habe die schlaflosen Stunden damit zugebracht. Man weiß nicht, wann Glikl ihren Kindern diese Aufzeichnungen überreicht hat. Ob sie noch am Leben war? Oder ob die Kinder die beschriebenen Seiten irgendwann nach ihrem Tod in einer Schublade gefunden haben? Jedenfalls war es ein großer Schatz, den sie dort in den Händen hielten, eine Lebensgeschichte der Mutter, immer wieder ergänzt durch Erinnerungen und Anekdoten aus der großen jüdischen Gemeinde, die sich über Altona und Deutschland auf ganz Europa erstreckt. Bertha Pappenheim als Glikl. Gemälde von Leopold Pilichowski. Original von 1925. Ein seltenes Schriftstück Und auch für uns heute ist Glikls Autobiografie ein interessantes Schriftstück. Wann kann man schon einmal direkt in den Kopf einer aschkenasischen Jüdin aus dem 17. Jahrhundert schauen? Der Originaltext ist in Westjiddisch verfasst, einer heute nicht mehr gesprochenen Sprache, und auf Deutsch steht er uns dank der Übersetzung von Bertha Pappenheim zur Verfügung. Bertha Pappenheim ist es auch, die auf diesem Gemälde von Leopold Pilichowski als Glikl posiert. Von Glikl selbst gibt es leider kein Porträt. Wie sie als (sehr!) junge Frau eines Luxuswarenhändlers zurechtkommt, ob sie gute Partien für ihre Kinder findet und ob die ganze Familie einem vermeintlichen Messias nach Ägypten folgt, all das erfahrt ihr in unserer Podcast-Folge zu Glikl bas Judah Leib oder Glückel von Hameln. (Auch die zwei Namen erklären wir natürlich.) Wie im Podcast versprochen, hier noch ein Link zum ersten von zehn Videos von La Porta Musicale, in denen ein großer Teil aus Glikls Text vorgelesen und passende Musik dazu gespielt wird. Hört mal rein, um euch einen Eindruck von Glikls Sprache zu machen: Glikl von Hameln – musikalisch literarisch. *** Quellen:Marianne Awerbuch: „Vor der Aufklärung: Die Denkwürdigkeiten der Glückel von Hameln – Ein jüdisches Frauenleben am Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts“. In: Willi Jasper und Joachim H. Knoll (Hrsg.): Preußens Himmel breitet seine Sterne, Georg Olms Verlag, Hildesheim/Zürich/New York 2002.Bernhard Gelderblom: Die Juden von Hameln von ihren Anfängen im 13. Jahrhundert bis zu ihrer Vernichtung durch das NS-Regime. Verlag Jörg Mitzkat, Holzminden 2011.Inge Groll: Die jüdische Kauffrau Glikl (1646–1724). Edition Temmen, Hamburg 2011. Artwork und Musik: Uwe Sittig Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke

Om Podcasten

Inspirierende Portraits von Frauen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Technik und Politik, vorgestellt von Susanne Popp und Petra Hucke, Autorinnen historischer Romane. Habt ihr schon einmal gehört, dass die Brooklyn Bridge von einer Frau gebaut wurde? Wisst ihr, wer die Veuve Cliquot hinter der berühmten Champagnermarke war? Kennt ihr mehr als die Namen der Umweltaktivistin Rachel Carson, der promovierten Ärztin Dorothea Erxleben, der Naturforscherin Amalie Dietrich oder der Mathematikerin Ada Lovelace? Wir lesen ihre Biografien, erforschen ihre Hintergründe und präsentieren euch alle vierzehn Tage den Lebenslauf und die Lebensleistung von Frauen, die prominenter in unseren Geschichtsbüchern auftauchen sollten. Das beginnt mit universalgelehrten Frauen im frühen 17. Jahrhundert wie Anna Maria Schurmann und endet mit Politikerinnen kurz vor unserer Zeit wie Elisabeth Schwarzhaupt. Wir stöbern in Europa genauso herum wie in Nordamerika, strecken die Fühler jedoch nach und nach immer weiter aus. Starke Frauen können uns mit ihrer Durchsetzungsfähigkeit als Vorbild dienen, denn gerade in vergangenen Jahrhunderten hatten sie immer Schwierigkeiten, sich zu behaupten und einen Platz in der von Männern dominierten Welt zu finden. In unserem Podcast bekommen sie die Aufmerksamkeit, die sie verdient haben. Weitere Hintergrundinformationen zu den einzelnen Folgen und zu uns als Hosts findet ihr auf https://frauenleben-podcast.de, wo wir auch einen Blog mit weiteren Biografien und Fundstücken führen. Susanne Popp veröffentlicht in diesem Jahr beim Rowohlt-Verlag eine historische Romanbiografie über die Veuve Cliquot, die Frau hinter der gleichnamigen Champagnermarke. "Madame Cliquot und das Glück der Champagne" ist zur Zeit noch in Arbeit, aber der Erscheinungstermin steht bereits fest, nämlich der 17. November 2020 (ab 1. November als E-Book). Freut euch auf eine ebenso spannende wie unterhaltsame Geschichte über eine mutige Frau, die in schwierigen Zeiten ihren eigenen Weg geht. Petra Hucke hat nach einem Mystery-Thriller den historischen Roman "Solch ein zephyrleichtes Leben" über die Tänzerin Ida Brun veröffentlicht. Im Juli 2021 erscheint beim Piper-Verlag die Romanbiografie „Die Architektin von New York“ über Emily Warren Roebling und ihre Lebensgeschichte, die sie selbst wohl nie so hätte voraussehen können. Weitere Frauenbiografien, für die wir bereits Episoden veröffentlicht oder fest eingeplant haben: Die Archäologin Mary Leakey, die studierte Ärztin und Lehrerin Maria Montessori, die erste US-Präsidentschaftskandidatin Victoria Woodhull, die Juristin und Frauenrechtlerin Iris von Roten, die Physikprofessorin Laura Bassi, die Erfinderin Hedy Lamarr und die Chemikerin Alice Augusta Ball. Habt ihr Vorschläge für weitere Geschichten von Frauen? Wir freuen uns auf eure Ideen! Einfach eine Email schreiben an kontakt@frauenleben-podcast.de